Vier Stunden Schlaf sind nicht viel für den Jung‘.
Miesepetrig lasse ich mich aus der Buskoje fallen und klettere muffelig in meine nicht minder muffeligen Klamotten. Es ist zehn Uhr in der früh und wir müssen rasch den Bus vorm Club entladen, da jener hier nicht parken darf. Wir spielen im schmucken Kupfersaal und veranstaltet wird das Konzert von unseren Freunden von Landstreicherbooking, heute verteten durch Felix. Der Kupfersaal ist ehrwürdig und hat 1000 Vorteile, der akute Rollwagenmangel stellt indes gerade eher einen echten Nachteil dar. Kiste um Kiste, Kühlschrank um Stehlampe müssen wir kreuzgeplagten Mimosen über Stock und Stein und quer durch Fußgängerverkehr jonglieren. Es ist schön, dass wir eine trommlerfreie Band sind.
Doch im Club ist dafür alles bereits lecker und liebevoll eingedeckt. Brötchen, Snacks und Dips und Obst, sogar eine eigens mit Monsterskonterfei etikettierte Flasche Sekt steht da. Da steckt schon sehr viel Charme und Liebe drin. Doch noch sind alle müde und verschroben, und so trennen sich zeitweise unsere Wege. Buger, Pensen und Jan fahren mit dem Bus zur nächsten bereitgestellten Steckdose, Fred geht sich Jeans kaufen, Mark und Tobi bleiben im Club und sind wahrscheinlich fleißig, und ich gehe zur Thomaskirche, wo sich das Hotel mit unserem Dayroom, in dem wir zwecks Dusche heute eingebucht sind, befindet. Also quasi ein Hotelzimmer ohne Übernachtungserlaubnis, so kombiniere ich zumindest, denn das Bett ist abgezogen und Decke und Kissen liegen abweisend auf allen Sitzgelegenheiten. Egal, ich wollte eh nur laufen, also los und ab dafür. Ich erwische eine sehr schöne Strecke am Fluss entlang, hopse über Brücken und freu mich über die Entchen. Die Sonne scheint, aber ohne Jan ist mir auch etwas langweilig. Nach einer Stunde bemerke ich, dass ich mich wieder verlaufen habe, denn da, wo die Thomaskirche sein müsste, ist jetzt bloß noch eine Kreuzung mit Geschäften und viel Verkehr. Ich weiß ja, dass sich das Stadtbild boomender Metroploen rasant verändert, aber sooo lange war ich ja jetzt doch nicht unterwegs. Der erschrockene Gesichtsausdruck der Passantin, die ich nach dem Weg frage, macht wenig Mut, zumal sie ihn mit der Angstgegenfrage aller JoggerInnen verbindet: „Da wollen Sie hinlaufen?“ Ich nicke und höre entmutigt gar nicht weiter zu, bedanke mich anschließend und hechle kraftlos weiter. Doch zwei auskunftsfreudige Würstchenverkäufer später finde ich dann zurück zur Kirche, dusche und geh zurück zum Club, essen, chillen und Tourbericht schreiben. Die Kollegen kommen nach und nach auch alle in den Kupfersaal, alle auf ihre eigene Art beschwingt, es läuft avantgardistische HipHop-Musik und ich lese aus Langeweile den Tourbericht live auf Insta. Sternsekunden der Literatur. Ein Leben auf der Überholspur, allerdings im Leerlauf.
Wie schön, dass es den Soundcheck gibt, und auch hier gilt: Es ist schön, dass wir eine trommlerfreie Band sind. Ich sag mal so, Schlagzeuger sind absolut dufte Menschen, mindestens so wie zum Beispiel Cellisten oder Aquarellmaler. Sie haben Groove und Stil und schenken dem Weltentaumel den Rhythmus, der uns in Bewegung hält. Es gibt nur einen Aktionsbereich, in dem ihr Dasein an einer Unerträglichkeitsgrenze kratzt, nämlich den Soundcheck. Sie sind selber ganz unglücklich darob, und er muss ja auch gemacht werden, aber wer je einen Schlagzeugsoundcheck erlebt hat, weiß, dass ich nicht polemisiere. Und wer es nicht erlebt hat, sollte froh sein, nie in diesen Abgrund geschaut zu haben. Und manchmal sind sie aber auch bloß halb so wild.
Wir haben Gitarren, Klavier und Gesang und dank Mark geht alles ganz flugs und schnieke, und eer Lichtmann hat unsere Stehlampe provisorisch repariert, aber da müssen wir ehrlich sein, die Tour wird sie womöglich nicht mehr durchhalten. Sie war uns eine treue Begleiterin, aber es wird langsam Zeit für ihre Rente. Aber keine Bange, es geht ihr gut, sie will mit ein paar Weihnachtslichterketten auf eine Glühwürmchen-Ranch ziehen und da in den Sonnenuntergang blicken.
Zeit fürs Essen: Die Köchin heißt Linda und was sie uns gezaubert hat, läßt uns gaumentechnisch am eigenen Speichel ertrinken. Unfassbare, ausschließlich vegane/vegetarische Köstlichkeiten, Hackbällchen in Soße, Auflauf, ein Kartoffelgulasch zum Reinlegen, Semmelknödel, Salate, ich vergesse gerade bestimmt was, aber alles, einfach alles schmeckt so gut, dass ich heute in Stuttgart noch einen Mastbauch davon habe.
Aber jetzt mal zum Konzert: Leipzig haben wir immer gerne bespielt, und auch heute stellt da keine Ausnahme dar. Das Publikum ist schlicht und ergreifend grandios, sie singen, feiern und geben uns das aufbauende Gefühl, unter Freunden zu sein. Von der Band kann man das indes heute nicht ganz so behaupten. Es ist zum Beispiel ein durchaus irritierendes Gefühl, beim Spielen eines Songs zu registrieren, dass ein Bandkollege währenddessen auf dem Handy rumgoogelt. Ich verrate nicht, wer das war, aber Burger kann später was erleben. Ich brauche eine Weile, um mich wieder ins Konzertfeeling zurückzugrooven, zum Glück hilft mir das Publikum auch dabei und zum Glück haben wir Monsters uns lieb genug, um uns auch rasch wieder fröhlich zuprosten zu können. Wir sind insgesamt sehr diffus unterwegs, etwas zu verquasselt womöglich, Freds spontaner Schürzenfreestyle gerät zu einem Konzeptalbum, nur halt ohne Konzept, irgendwie Helge Schneider mit einem Schuss Josef Beus, Freejazz und einem Erdmännchen, das sich im Nebel verlaufen hat. Ich rede aber auch viel zusammenhangfreies Zeugs heute, vielleicht liegt das daran, dass wir uns so sicher und geborgen fühlen, weil wir so toll durch den Abend getragen werden. Es gibt auf jeden Fall massiven Sitzpogo, und dass wir Fisseln, trotz wiederholt, und stetig aggressiver tönenden Forderung, leider einfach nicht spielen können, wird uns hoffentlich doch verziehen. Es ist ein Remmidemmiabend, der aber auch ganz ruhige Momente zulässt, und das machts für uns immer noch ein bißchen magischer. Die zweite Hälfte gerät dann insgesamt auch wieder ein wenig knackiger, und dass am Ende alle aufspringen und Zugaben fordern, lässt unsere Seelchen dankbar glühen.
Es ist nur schade, dass wir heute wieder so schnell einladen und abdüsen müssen, denn heute sind auch Freunde da, mit denen wir gerne etwas mehr Zeit verbracht hätten, Lina, Filipp, beide Normanns, und noch mehr, sorry, ich will niemanden vergessen. Alle toll jedenfalls, und zum Abschied winken wir samt Teddypard dankend und mit einer Abschiedsträne in den Augenwinkeln aus dem anrollenden Bus der Stadt hinterher. Und weil Liebe durch den Magen geht, verputze ich anschließend gleich alle Proviantpaktete mit dem Kartoffelgulasch, derer ich fündig werde. Und ich würde gerne auch weiterberichten, was dann geschah, aber es geht nicht, denn ich hab leider den Mund voll. Sorry und Hofknicks, wir sehen uns hoffentlich ganz bald wieder.
P. S. Börnski findet, dass Leipzig ganz besonders toll singen kann. Wer würde ihm da widersprechen wollen?