Es ist nicht von der Hand zu weisen: Ich habe mich in Leipzig überfressen.
Ich träumte von Fleischklopsungeheuern, die mich jagten, um mich meiner Band als Abendmahl zu kredenzen. Ich erwache erst, als mir der Kesselboden den Hintern bereits anbrutzelte, und bin, nach einem kurzen erleichterten Aufatmer, trotzdem rasch wieder ein bißchen traurig, dass ich mich jetzt wieder, anstelle von Fleischklopsungeheuern, mit AfD-Ärschen, Umweltkillern und sonstigem Mistzeug rumärgern muß.
Außerdem drückt der Bauch, denn ich habe einen Porzellanmagen und vertrage nix, esse aber genau das am liebsten und davon viel. Wir stehen bereits am Stuttgarter Club, dem Wizemann, und die meisten Kollegen sind längst wach. Fred raucht businessmäßig Kette, während er Tourlogistiksachen regelt wie ein junger Tourlogistiksachenregelgott, Tobi rechnet fleißig die Verkäufe ab, und Mark, Armand und Frische Mische tun auch bestimmt wichtige Sachen, aber ich weiß nicht welche, denn ich muss aufs Klo. Unser offizielles „Get In“, also unser Bandeinlass, ist um 10:30 Uhr, und wir haben erst 10:26 Uhr, so erklärt mir eine strenge Frau freundlich, bzw. eine freundliche Frau streng, und das Gesetz ist absolut auf ihrer Seite, aber danach komme ich auch zu Wort und erkläre, dass es mir gerade nur um meine Notdurftverrichtung geht, und erst ab 10:30 Uhr darum, Brötchen zu fressen oder Backstageräume zu verwüsten. Zum Glück hat sie Einsehen und läßt mich durch. Das war knapp. Tourleben ist purer Glamour.
Heute scheint die Sonne, als wäre es ein Sommertag, und Börnski und ich entscheiden heldenmäßig, trotz Bauchaua und klebriger Müdigkeit, eine Runde zu joggen. Wir streifen durch den Grüngürtel, der enorm gut frequentiert ist, und ich überrenne beinahe einen hyperaktiven Bub, der sich sein T-Shirt über den Kopf zieht, während er vorfreudig zum Brunnen sputet, was seinem Orientierungssinn nur bedingt hilft. Wir überleben beide, aber das Video davon ist ein purer Actionknaller, zu heftig für das Internet. Apropos Orientierungssinn: Weil wir Börnskis Weg vertrauen kommen wir sicher wieder am Bus an. Ich hab nachgegoogelt, mein Vorschlag hätte uns nach Wiesbaden gebracht.
Den Tag verbringen wir alle wieder jeder auf seine Weise, davon vermutlich Pensen am fleißigsten, denn da heute kurzfristig auch noch Burger fehlt, muss er nicht nur Rüdis „Trinkt mit mir“, sondern auch noch Songs einproben, die Burger sonst für Fred spielt.
Viele chillen in der Sonne, ich verstecke mich im Backstage, denn ich mag die Darkness und auch die Toilettennähe, siehe Berichtbeginn. Eine kleine Livelesung ist aber natürlich noch drin, und ein Brötchen passt auch noch rein.
Zwischendurch unterhalte ich mich noch sehr gut mit Armand über Wohnortwechsel aus Liebe und die daraus resultierenden Vorteile, und das gibt mir zu denken. Es ist schön, wenn man mal neue Perspektiven gezeigt bekommt, zu oft modere ich in meinem eigenen alten Tunnel und übersehe wahrscheinlich Abzweigungen. Der Wizemannbackstagebereich böte dafür eine gute Kulisse, denn auch hier kann man sich labyrinthmäßig prima im dunklen Tunnelsystem verlaufen, aber automatisch gehen plötzlich immer wieder Lichter an und weisen zur Dusche. Ein Spieleparadies für Fred Krueger-Fans.
Ich bin heute in eigenartiger Stimmung, irgendwas zwischen ocker und flieder, besser kann ich es gerade nicht sagen. Der Soundcheck ist aber schön bunt, Mark hat uns wieder einen tollen Klang gezaubert, und auch Babek, der Mensch, der uns heute beleuchtet, ist sehr ambitioniert und gut.
Es gibt Pizza vom Bringdienst, und ich steh schon auf diese Kartons, muss mich aber ermahnen, nicht gleich die ganze Pizza zu essen, um nachher noch halbwegs auftreten zu können. Da ich jedoch insofern ein klassischer Typ Mensch bin, als dass ich Ratschläge supergern erteile, aber nicht annehme, höre ich mir selbst nicht zu und futsch ist die Pizza.
Konzertbeginn: Wir haben heute ein strikten Curfew, noch strikter, als unser Get In, wir werden verhaftet und mit Maultaschen totgeworfen, sollten wir die 23 Uhr-Grenze überschreiten.
Da wir aber keinen Song weniger spielen wollen, entscheiden wir uns, etwas weniger zu quasseln, wenn möglich. Um 20:03 Uhr hopsen wir auf die Bühne, zu viert, verwirrt und adrenalisiert.
Und ich getrau es mich fast nicht zu sagen, aber: Es wird ein Bombenabend.
Stuttgart ist voll mit uns und euphorisch wie Woodstock im Sonnenschein. Der ganze Raum bebt und es ist völlig klar, heute wird sogar der Sitzpogorekord gebrochen. Das komplette „Sabine“ durchgepogt, wow. Der Wecker wird frenetisch mitgeklatscht, die Anti-AfD-Jubeleien tun wahnsinnig gut, Auflaufform wird sich gar per Plakat gewünscht, Gratisbier aber auch, und apropos: Ausnahmsweise gibt es auch heute mal für Textvorsagen vom Publikum bei Bandblackouts ein Gratisbier. Tatsächlich verteilen wir heute für ein paar Leistungen ans Publikum Bier, bis der Kühlschrankinhalt gerade noch für uns ausreicht, aber da die Bitten so charmant vorgetragen wurden, konnten wir nicht anders. Allerdings betone ich an dieser Stelle: das lassen wir nicht zur Regel werden.
Ich verkacke leider heute den Moment, aber das ist nur eine Trauerträne im salzig/gerührt-verschwitzen Freudenmeer.
Wir spielen natürlich einige Songs von uns vieren, da wir die Burger/Rüdi-Lücken schließen müssen, aber auch immerhin Laterne, Frösche und Trinkt mit mir, letzteres klingt heute ganz wundervoll folkig, gefällt mir richtig gut.
Wellenmäßig werden wir mit Applaussalven und stehenden Ovationen beklohnt und der Club glüht auf beiden Seiten der Bühne.
Nach der Show stellen wir überrascht fest, dass wir um einiges schneller waren als gedacht, aber dabei hatten wir zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, uns zurückgehalten zu haben. Es war einfach eine Extraprise Pfeffer drin. Das passiert schon mal, wenn wir aufgrund personeller Unvollständigkeit, jeder für sich, das Gefühl haben, noch eine Schippe drauflegen zu müssen.
Nach dem Konzert treffen wir noch viele euphorische, freundliche Menschen, machen Fotos und bekommen als Dank fürs Gratisbier Gratisbier ausgegeben, und was hätte nicht alles noch geschehen können, wäre unsere offiziell vorgegebene „Get out“-Zeit nicht noch gnadenloser als „Get in“- oder „Curfew“-Zeit. Um Mitternacht verlassen wir Stuttgart mit viel Dankbarkeit für einen absolut famosen Abend und dem untermauerten Wissen um der Schwaben Pünktlickeit. Im Bus gibt’s dufte Musik und Tanz und meine seit Berlin berühmten Rowoshots und Armand und Codriveboss Paul geleiten uns sicher durch die Nacht. Ab nach Hause und da dann vorfreuen auf den zweiten Tourblock.