Die zweite Tourrutsche, die große mit zehn Konzerten am Stück, haben Jan Labinski et moi klug as fuck damit eingeläutet, im Tourbus bei Wein und Gesang durchzumachen, um morgens in Bochum eine Joggingeinheit dranzuhängen, die zwei Stunden dauert, bei etwa drei km/h Durchschnittstempo. An der Grenze zur Hysterie kichernd schlittern wir über Schlammböden, rutschen Rutschen und verlaufen uns an jeder Weggkreuzung, bis wir wieder zurück an der Zeche sind, um selbige auch gleich zu zahlen. Quasi komatös fallen wir in die Kojen und sind für den Resttag kaum zu gebrauchen. Ich wache nur für die Pflichteinheiten Frühstück, Busausladen und Soundcheck auf, Börnski bleibt konsequent und auch dann in festem Schlummer.
Das Frühstück ist super und das Zechenteam um Susi und Holger absolut prima, ich weiß nur nicht mehr genau, wem ich was ich genau für ein Bandfoto versprochen habe, denn für echte Informationen war ich noch nicht zu gebrauchen, und habe nur am Brötchen mümmelnd alles bejaht und abgenickt. Mit Kräften haushalten, auch so eine Illusion. Was ich unbedingt noch anmerken möchte: Wir fühlen uns sehr geehrt, hier aufspielen zu dürfen, denn die Zeche Bochum ist absolute Legende, von Tina Turner bis zu Ludwig Hirsch waren schon alle da. Nun auch wir, Häkchen auf der To do List.
Heute sind wir als Band endlich wieder komplett, das ist wundervoll, und statt Mark und Tobi sind die nächsten sechs Tage Urs am Ton und Lasse am Merch dabei. Der tolle Thorsten Nagelschmidt schrieb ja bereits in seinem Debütroman „Wo die wilden Maden graben“ völlig zutreffend, dass das traurige auf Tour oft sei, dass nie immer alle von der Crew zeitgleich mit dabei sind, und deshalb Abschiedstrauer mit Wiedersehensfreude ständig einhergeht, und so ist das. Am besten wäre, derart erfolgreich zu sein, dass man alle immer bezahlen könnte. Das ist schon ein zweiter Propunkt für Erfolg, neben der Zukunftsangstminimierung.
Erfolg misst sich glücklicherweise nicht nur an Masse, darum können wir an dieser Stelle direkt zum Konzert übergehen:
Die Zeche Bochum ist qualitativ bestens gefüllt mit quantitativ suboptimalen Publikum.
Aber wir werden empfangen und gefeiert, als wären wir die ganzen Legenden, die hier auf Fotos von den Wänden hängen, gleichzeitig, und als Supergroup hier eingeflogen.
Es wird ein klasse Konzert, wobei ich gestehen muss, dass ich heute nicht reinkomme, irgendwas zwackt mir im Gemüt und drückt mich auf den Boden. Nicht auszudenken, wenn die Menschen im Raum nicht so herzlich mitmachen und -lachen würden, denn das rührt doch sehr, und ich stammele mehrmals holperig „danke“ und hoffe, es kam so ehrlich an, wie es gemeint war. Einzelne Situationen geraten heute sehr ausufernd. Besonders rührend aber eine Mutter, die anläßlich des Songs „mein Sohn“ den ihren in der ersten Reihe aufsucht und mütterlich herzt. Der ganze Saal quietscht, weils wirklich sehr süß ist, der Spross indes windet sich, als hätte er in den Wehen gelegen, und nicht seine werte Mutter.
Ich spiele heute spontan auf Pensens Wunsch „Brennt die kleine Kerze“, was derart ausufert, dass wir bestimmt zehn Minuten später als geplant in die Pause gehen, vielleicht lags aber auch am spontanen „erste Reihe Bierbeschenkungs“-Battle, dass kurz zwischen Fred und mir entfacht, und unentschieden ausgeht. Ihr versteht nur Bahnhof? Beim nächsten Mal einfach zum Konzert kommen.
In der zweiten Hälfte geht’s zunächst etwas gesitteter und weniger chaotisch zu, wir rocken recht knackig durch die Somgs, Rüdis Wiederkehr wird frenetisch gefeiert, Teile des Publikums dancen und beschenken uns mit Rauchwaren, leider können wir dennoch diverse Songwünsche heute nicht erfüllen wegen geht nicht. Dafür gibt’s versehentliche Doppelstrophen bei Punkermädchen und Laterne, und bei Türen bricht dann alles zusammen, als Börnski vom Klo mit ausgehebelter Backstagetür unterm Arm zurückkommt und mit der Klinke winkt. Leider geht er dann nicht wieder, und so entstehen bizarre luftleere Freestylemomente ohne Hand, Fuß oder Sinn, aber anscheinend glücklicherweise genügend unterhaltsam, um nicht alle aus dem Saal zu treiben, sondern freudig mitklatschen und frenetisch Zugaben fordern zu lassen. Zum Abschied gibt’s sogar noch standing Ovations, und das war schon ein hinreißender Auftakt.
Eine anschließende Party mit lieben Freunden, die heute da sind, fällt allerdings aus, die einen sind gerädert, andere müde, es ist ein Wochentag, und so sitzen wir alle recht rasch beisammen im Tourbus, essen Brezeln und unterhalten uns über Jobmöglichkeiten für Menschen ohne Talent oder Elan, bzw. mich. Kurz gesagt, es gibt welche. Das ist doch was. Mit diesen Gedanken und Teddypard verabschiede ich mich erschöpft, aber friedvoll freudig, in meine Koje. Um drei startet der Bus zur Mission Münster. Bochum, vielen Dank. Armand, übernehmen sie.