Es ist jetzt schon einige Tage her, dass wir die Freude hatten, auf dem Haunerock-Festival als Überraschungsgäste aufzuspielen, und deckungsgleich mit der Zeit, dass ich dort großspurig diversen tollen Menschen angekündigt habe, sie könnten sich binnen der nächsten 24 Stunden in unserem Tourbericht verewigt wiederfinden. Tja, da habe ich den Mund zu voll genommen, aber ich bitte um Verständnis, der Hund hatte meine Notizen gefressen.
Ich sitze nun aber dennoch bester Dinge am Laptop, höre den Katzen beim zerpflücken des neuen Ohrensessels zu, und bemühe mich, die Ereignisse detailliert zu rekonstruieren. Ich gehe in mich und verschwinde in meinen Erinnerungen:
Da bin ich, wie ich im Regionalexpress sitze, von Erfurt über Eisenach über Bebra bis Bad Hersfeld. Es ist noch früh, darum sind die Züge nur mäßig besetzt. Der Nachteil an der Uhrzeit: es ist noch äußerst frisch, und ich habe mich heute mit kurzer Hose und Segeltuchschuhen – ich schreibe „Segeltuchschuhe, weil ich nicht weiß, wie man „Espadrilles“ schreibt, bin aber auch zu faul, nachzugooglen, alleine, weil mir der Begriff „nachzugooglen“ zuwider ist, andererseits sollte man hier und da doch die Pflicht über die Kür stellen, darum google ich und google ich und siehe da, es heißt „Espadrilles“, da hätte ich mir die Googelei auch sparen können, doch immerhin habe ich dadurch einen ganz guten faieren Anbieter für künftige Espadrilleskäufe gefunden, wozu doch alles gut sein kann! – äußerst totteuntypisch optimistisch gekleidet. Der Himmel ist zudem drohend mit dunklen Wolken verhangen, und in den Zügen wird traditionell auf Minusgrade klimatisiert, um die vielen ausgefallenen Klimaanlagen in den anderen Zügen so zu nivellieren. Um mich abzulenken, lese ich ein neues Buch von Helmut Krausser, der mir, trotz all meiner Verehrung, in den letzten Jahren eher altkonservativ angemuffelt scheint, doch dieses Buch wirkt bislang davon erfreulich verschont. Besonders weit schaffe ich es indes nicht, denn da ist schon Bad Hersfeld, und bevor ich grübeln oder was adäquates tun kann, kommen auch schon Fred, Börnski und Pensen ums Eck, die ebenfalls per Zug angereist sind, allerdings aus Hamburg. Nichtsdestotrotz saßen sie anscheinend ab Bebra im selben Zug, aber wir Monsters sind halt alle derart egofixiert, dass wir außer uns selbst nix mitkriegen. Back to the Geschehen:
Wir werden zum Venue geshuttlet, wie man im Dummrock sagt, und die Wartezeit bis dahin verkürzt uns Niklas, ein Monstershörer, der uns zufällig hier antrifft, weil er eigentlich nur Hemden kaufen wollte, für eine Party, ich glaube eine Hochzeit gar, vielleicht die seiner Schwester? Ich bin mir nicht mehr sicher, doch egal, er ist sehr freundlich, und ich wünsche ihm bügelfreie Hemdenfunde in allen Lebenslagen.
Ebenso freundlich ist Manuel, der uns nun in den Haunerockbus lädt und zum Ort des Geschehens chauffiert. Merci vielmals. Auch Burger und Rüdi sind bereits angekommen, und seit Mai sitzen wir nun erstmals wieder komplett zusammen. Hier ist bereits reges Treiben, zwar ist der Platz noch geschlossen, aber im Backstage werden wundervolle Frühstückstabletts voller duftender Backwaren aufgetischt, und alle vom Team sind ganz enorm hilfsbereit und sympathisch. Ich habe mir mal wieder nicht alle Namen gemerkt, aber glaubt mir, ihr sollt euch bitte alle ehrlich geherzt fühlen. Wen wir schon super kennen, ist Mark, der Tontechniker, mit dem wir inzwischen schon große Teile der letzten Touren zusammen verbringen durften, eine total freudige Überraschung, dass er vor Ort und auch noch willens ist, uns zusätzlich mitzumischen. Geiler Typ, da wird der Soundcheck zu einer familiären Funminute. Der Stagemanager Alex tut mit seinem Bühnenteam sein übriges dazu, und dadurch mächtig entspannt können wir so die letzten Stunde bis zum Konzert im traumhaften Backstage auf der Veranda zwischen Karpfenteichen chillen und tretbootfahrenden Bands zuschauen, derweil wir uns etwas dekadent den ersten Rotkäppchensekt einverleiben.
Inzwischen erbläut auch der Himmel langsam und Sonnenstrahlen beginnen unsere Gemüter zu kitzeln. Wir Monsters sind alle unterschiedlich gelaunt, zumal wir alle heute frisch aus unterschiedlichen Situationen hier landen, und uns erstmal wieder innerbandlich akklimatisieren müssen. Damit geht jeder von uns anders um, einer kompensiert seinen Alltag durch Introvertiertheit, der nächste ist auf Austausch aus, während wieder ein anderer seine Unsicherheiten mit prolligem Getue bekämpft. Irgendwas in der Mitte von alldem sind dann wir, und so versuchen wir uns der Welt zu vermitteln. Heute als Überraschungsgäste zur Eröffnung des Festivaltages. Ein musikalischer Frühschoppen in der Hoffnung, dass überhaupt wer kommt.
Um 13 Uhr siehts noch sehr mau aus, und wir fassen uns im Kreis feste an den Schultern, um uns einander zu versichern, dass alles trotzdem gut ist, wie es ist. Um 13:05 laufen wir auf die Bühne, und der erste Stein fällt von unseren Herzen. Haunerock hat sich erfreulich zahlreich so früh eingefunden, um mit uns in den Tag zu schwofen. Und wir schwofen gerne mit, im Versuch, den passenden Soundteppich zu weben, damit wir gemeinsam abheben können. Zugegeben, er ist an einigen Stellen etwas ungünstig geknüpft, bei den Versionen vom Punkermädchen und Frau Voigts fällt doch einiges an Text durch die Maschen, auch dass wir vergessen haben, die passende Flöte für „Sexkranker Expunker“ mitzubringen, und uns das natürlich erst im Song auffällt, ist so eine Sache, die man mit dem Begriff „Superprofessionalität“ nur unzureichend umschreiben kann. Allerdings hilft uns, dass niemand uns wegen unserer Perfektion schätzt, sondern eher dafür, dass wir auch im Kontrollverlust kreative Chancen finden, und so wird halt das Punkermädchen eben episch freestylisch, und die Interaktion mit den feierfreudigen HaunerianerInnen ausgeufert. Dazu bieten sich auch genügend Möglichkeiten, es gilt eine stoffigsüße „Bananente“ zu featuren (checkt insta nach ihr ab) und auch der Lila Schwimmnudel Ferdinand mit einem Spontansong zu huldigen. Wir feiern die Stunde unseres Auftritts jedenfalls sehr, und da das werte Publikum mit uns singt, pogt und Polonaise tanzt, während es Fahnen mit erfreulich antifaschistischen Sätzen schwenkt, haben wir das Gefühl, dass es nicht nur uns so geht. Und dass Sandrine, eine unserer treuesten HörerInnen, auch überraschend vor Ort ist und zustimmend nickend schunkelt, ist natürlich eine Cocktailkirsche auf dem Schlagrahm der Freude.
Wir verteilen Getränke, grüßen den Delfinhai im Publikum und geben sehr, sehr gerne noch ein paar knackige Zugaben, bevor wir hinter der Bühne wieder auseinanderfallen und in unterschiedliche Richtungen driften. Die einen ziehts zum hervorragenden Catering, wo es eine – Zitat Fred: „Hinreißende Veggielasagne“ gibt, Börnski und mich treibts aber schnell vor die Bühne, um mit lieben Menschen Drinks zu nehmen – an dieser Stelle vielen Dank an die Damen und Herren vom Krombacherstand, die unsere kartenzahlungstechnische Unwissenheit so souverän und freundlich unbürokratisch gehandelt und uns mit leckeren Pfeffi versorgt habe – und der Folgeband „Up for Debate“ zu lauschen, die ein wirklich amtliches Brett liefern, das mich an eine gelungene Mischung aus Rage against the Machine und Bad Religion erinnert, womit ich den Stil aber nur unzureichend beschrieben habe. Trotzdem will ich nicht verhehlen, dass ich während des Konzerts auch eine kleine Nostalgieträne vergieße, und mich in meine Abizeit zurückwünsche. Womöglich unnötig zu erwähnen, dass „Up for Debate“ auch hinter den Kulissen einen sehr charmanten und sympathischen Eindruck machen, aber ich erwähne das dennoch, denn nichts ist unnötig, was mit Charme und Sympathie zu tun hat.
Leider bleibt uns nicht mehr viel Zeit, weiter zu feiern, denn wir sind alle heute bahnverbindungstechnisch gebunden, aber immerhin können wir noch kurz Ferris samt Band begrüßen. Ich freue mich natürlich besonders, meinen geliebten Olli Bockmist auf zumindest ein Bier noch zu treffen, um nochmal unsere künftigen gemeinsamen Pläne zu bekräftigen, und ich hoffe sehr, dass das wirklich was wird. Dann müssen wir aber schon zum Abschied winken, aus dem Sprinter, mit dem uns diesmal Markus fährt, der uns die Fahrtzeit mit Anekdoten vom gestrigen Festivaltag verkürzt, in denen es um trunkene Bands, Tretboote, Handys und Karpfenteiche geht, aber ich weiß nicht mehr genau, wie sich diese Puzzleteile zusammensetzen.
Auch die Zugfahrt birgt wieder Abschied, letztlich sitze ich entmonstert in einem Regionalzug eingekesselt zwischen einer Gruppe meloneessender betrunkender Teenager, deren Hormone gerade durch die Decke schießen und einer nicht minder trunkener Damenwandergruppe, die es neckig von sich finden, meine Reisetasche vom Tisch zu kicken. Fragt mich nicht, ich weiß es ja auch nicht. Haune ist jedenfalls besser als diese Realität. Viel besser. Das erzähle ich auch den Katzen, nachdem ich wieder heimgekehrt bin, und sie nicken nur wissend, denn Katzen wissen bekanntlich eh alles besser.