von: Totte

So, jetzt aber. Die Bohnen sind gegessen, Pacman ist fertiggespielt und Netflix leergeguckt. Keine Prokrastinationsmöglichkeit mehr übrig, um den Konzertbericht fürs Holtermeeting vor mir herzuschieben.

Dabei hätte er schon lange fertig sein können, denn viel ist nicht zu berichten. Zweieinhalb Lieder, dann endgültig Abbruch, ein Trauerspiel.

Es gibt halt Tage, die man in die Tonne kloppen kann. Manchmal sogar ganze Sommer. Mir wird der Festivalsommer 24 als ziemlich zäher Brocken noch eine Weile im Magen liegen bleiben, zuviele ärgerliche Umstände, Missverständnisse, endlose Bahnfahrten und wetterbedingte Störfaktoren überschatten diese Saison. Auf der Habenseite dafür enorm viele tolle Menschen, Publikum, Bühnencrews, OrganisatorInnen, KöchInnen, HelferInnen, also alle, die in irgendeiner Form solche Sommer möglich machen. Auch beim Holtermeeting-Festival treffen wir wieder auf solche Menschen, Lisa, Jessie, Thomas und noch viele mehr, die sich um uns kümmern als wären sie Profikümmerer, uns umsorgen und für uns organisieren, und was das Vegane Gulasch im Backstagebereich betrifft, ist das ein wahrer Gaumengeiler, der den Vergleich mit dem Leipziger Vegangulasch (siehe den betreffenden Tourbericht) nicht scheuen muss.

Ich bin hungrig as fuck, immerhin habe ich über sechs Stunden Zugfahrt hinter mir, für eine Strecke von netto vier Stunden Fahrtzeit. Aber Züge fallen eben aus, zuwenig Schienen, zuwenig Personal, wir leben in maroden Zeiten, vom Kapitalismus selbst geschaffen, um Gewinne zu optimieren. Natürlich halten wir an diesem System fest, denn wer denkt schon gerne an morgen? Immerhin hatte ich während der Fahrt Zeit für knapp zwei Bücher, jenes von Dirk von Lowtzow gefällt mir stellenweise sehr gut, schöne Beobachtungen und nostalgische Erinnerungen, unaufgeregte Ideen und Fragmente des Daseins. Den Autor des zweiten Buchs hab ich vergessen, denn das ist totaler Schrott, aber selbstverständlich ist es dafür ein Bestseller.

Es ist ein sehr sonniger Tag, keine Wolke hängt am Himmel, als ich die letzten Kilometer zum Festivalgelände spaziere, die anderen Bahnreisemonster Börnski, Pensen und Rüdi haben sich anscheinend dahingehend abgesprochen, sich vom Shuttledienst direlt zum Hotel kutschieren zu lassen, um etwas vorzufeiern. Auf dem Gelände treffe ich Fred, der ebenfalls gerade angekommen ist, und nun sind wir beim Gulasch, das ich gierig runterschlinge, mich gleichzeitig aber zügele, um später nicht mit vollem Bauch auf der Bühne wegzudösen. In der Zwischenzeit kommen auch die drei anderen Monster bestgelaunt an, Burger ist heute wegen der Schröders nicht dabei, also sind wir somit komplett. Die Sonne scheint, die Stimmung ist prächtig, die Bands räumen gehörig ab. Wir basteln uns eine Setliste, und mir wird erklärt, dass ich heute neben Fred sitze, weil sich Pensen mit Rüdi dessen Gitarre teilt. Aha, na gut, was solls, ich kann Fred gut leiden, warum also nicht?

Es wird dunkel, die Band vor uns – eine Melange aus Rock und Mittelaltermusik – reißt ziemlich ab, und langsam wird es Zeit für uns, zur Bühne zu gehen. Derweil erklärt uns der Techniker, dass es eventuell gleich gewittermäßig losgehen könnte, und er zeigt uns den Regenradar, aber wir winken müde ab, er möge uns bitte nicht mit Fakten belästigen. Labörnski organisiert die Getränke, und wir beginnen, uns auf der Bühne bereit zu machen. Es beginnt langsam zu winden, und die Technikcrew verlegt unsere Bierbänke sicherheitshalber etwas weiter nach hinten, damit wir besser geschützt sind. Den Soundcheck machen wir vor einem Platz voller gutgelaunter Menschen, die bereits Monsterschöre skandieren, und uns anscheinend mehr als wohlgesonnen sind. Auch Sandrine ist wieder da, und schaut etwas skeptisch gen Himmel, was wir blicktechnisch nur bestätigen können, während wir interaktiv klangklären. Am Horizont können wir bereits erste Blitze wahrnehmen, noch weit entfernt, aber richtig beruhigend ist das nicht.

Auf jeden Fall ziehen wir den Soundcheck extra schnell durch, um etwas früher anfangen zu können, in der Hoffnung, möglichst viel Programm in die Zeit bis zum großen Schauer, der inzwischen ziemlich gewiss ist, zu quetschen. Ab auf die Bühne, völlig unkoordiniert, aber Hauptsache loslegen. Wir spielen Auflaufform und Schlittschuh, und die Leute rocken extremst ab, es wird gesungen, getanzt und mitgeklatscht, dass unsere Augen gerührt tränen. Oder ist das der Regen, der von unseren Nasenspitzen tropft?

Der dritte Song, „die Zwerge“, wir schaffen die erste Strophe und den Refrain, aber pünktlich zum Rapteil öffnen sich alle Schleusen, und Wassermassen knallen auf uns nieder wie aus einem Feuerwehrschlauch. Wir bekommen das Abbruchzeichen, binnen Sekunden ist fast der gesamte Platz leergefegt, bis auf einen hoffnungsvollen harten Rest Leute, die sich Regenponchos überziehen und vor der Bühne ausharren. Heftig. Und es scheint sich alles zu wenden: Die Crew hat unser Equipment noch ein bißchen weiter zur Bühnenmitte gezogen, und überraschend heißt es, wir dürfen weitermachen.

Zwar sind – neben der Handvoll HeldInnen vor der Bühne – nur noch Fred und ich auf der Bühne, aber wir legen gleich wieder los, genau da, wo wir aufgehört haben. Zwerge, zweite Strophe. Auch Börnski kommt irgendwann wieder, der Rest bleibt verschollen, aber schon bevor wir zum zweiten Refrain ansetzen können, geht das Gewitter mit doppelter Power in die zweite Runde, und nun bekommen wir den endgültigen Abbruchbefehl. Unsere Überlegungen, zumindest unplugged noch in irgendeinem Zelt ein wenig spontan weiterzuspielen, müssen ebenfalls verworfen werden, denn das gesamte Gelände muss sicherheitshalber komplett geräumt werden. Sagen wir so: Riesenscheiße für alle. Team, Publikum, uns. Hoffen wir, dass es dem Boden zumindest nützt.

Es ist nur Regen, aber der Abend ist uns allen verhagelt. Wir flüchten uns vor dem Regen in den Backstage, wo wir noch ein wenig mit dem Team zusammensitzen und versuchen, den Galgenhumor über die Enttäuschung gewinnen zu lassen. Fred muss allerdings heute noch per Auto heimfahren, darum bleibt er nicht mehr allzulang, und ich entscheide mich, mit ihm zusammen gen Hamburg zu fahren. Die Kollegen bleiben über Nacht in Schloss Holte, was folgt sind Verabschiedungen, Beteuerungen, alles nächstes Jahr nachzuholen, und beste Wünsche samt Bedauern in alle Richtungen.

Die Fahrt in der Nacht fördert dann Gedanken zutage, in stiller Gemeinschaft, Wortfetzen und Satzversuche, ohne Musik, vom langsam ausklingenden Regengeprassel abgesehen, das uns wie ein Fade Out begleitet, während wir langsam in der Dunkelheit entschwinden.