von: Totte

So, jetzt geht’s also wieder auf Tour. Aufnahmetour, das bedeutet – ihr als langjährige treue Leserschaft wisst es natürlich – viele neue Songs, Unsicherheiten, abenteuerliche Gefilde, Risiko. 
Erstmal nur für zwei Tage, bevor dann die lange zehntägige Rutsche startet. 
Na gut. 

Ich habe die letzten zwei Wochen täglich geübt, Ernstfallszenarien zu imitieren versucht und permanente Textänderungen vorgenommen. Dazwischen dann irgendwas auf Netflix geglotzt und Kartoffelbrei gegessen. Das Leben eines Kreativkopfes. 
Die letzte Nacht habe ich traditionell ewig wachgelegen und mir Sorgen gemacht, Dialoge inszeniert und versucht, mir die Welt schönzureden. 
Jetzt ist es acht Uhr morgens und ich fühle mich gerädert wie etwas Gerädertes, hihi. 
Während ich mich langsam zum Monsterslager aufmache, war Börnski schon fleißig und hat dort bereits das gesamte neue Merchandise gestapelt und organisiert, Urs wiederum längst Bus und Aufnahmeequipment geholt, und Fred und Pensen sind auch schon da. Burger, Rüdi und Lasse kommen direkt nach Hannover, also hält uns hier auch nichts mehr. Autobahnen Deutschlands, here we go again. 
Im Bus ist eine Atmosphäre, die sich aus Wiedersehen, Tourstartfremdeleien und Neuliederdeklamationen zusammenmixt, was jeder anders verarbeitet. Der eine kehrt eher in sich, während der nächste mit Lärm versucht, seine Gedanken zu kompensieren. 
Auch das ist nix Neues, Bandreisen bleiben wahrscheinlich auf ewig Klassenfahrten der ausschließlich letzten Reihe. 
Erstaunlich staufrei kutschieren wir gen Hannover und kommen überpünktlichst am Musikzentrum an, auch dies quasi eine Heimkehr. Christian und Team nehmen uns freundlich, familiär und kompetent in Empfang, ein zauberhaftes Buffet steht bereit, wir laden schnell den Bus aus und fallen dann über die Kulinarien her. Jetzt folgt die leere Zeit bis zum Soundcheck, die die einen mit Proben füllen, die nächsten mit Schlaf, Burger, Rüdi und Lasse sind inzwischen auch da – hossa! – und ich entscheide mich spontan, eine Runde an der Leine laufen zu gehen. Ein malerischer Herbsttag, der heutige. Wieder zurück ist’s bald auch Zeit für den Soundcheck, natürlich dauert er diesmal etwas länger, weil alles erstmal grundeingestellt werden muss und wir auch alle aufnahmebedingt etwas hellhöriger sind, als sonst, aber Urs checkt gewohnt gut und beruhigend, und letztlich passt alles.   

Ich komme mal direkt zum Konzert: 
Wir sind diesmal vor dem Auftritt alle so nervös wie selten, aber sobald wir auf die Bühne kommen, werden wir von einem ausverkauften Musikzentrum derart liebevoll und euphorisch empfangen, dass unsere Aufregung sich mit so viel Freude mischt, dass der Abend ab der ersten Sekunde knallt. Im Grunde schon beim Aufstieg auf die Bühne, weil Burger über einen Scheinwerfer stolpert und eine Colaflasche fallen lässt, die startschussmäßig explodiert. 

Showtime:
Es ist ein Wahnsinn, übertragen und im Wortsinn, totaler Fun auf allen Seiten, ein Mitmachpegel erster Güte und vor allem: fast alle neuen Songs kommen hervorragend an. Das stärkt uns innerlich sehr. Gut, zugegeben, es gibt zwei Ausreißer, einer davon ist von mir, und das nagt an meinem Selbstwertgefühl, aber damit muss man halt auch leben können, wenn man sich einem Publikum stellt. 

Andere Songs kommen dafür um so besser an, aber ihr versteht sicher, dass ich jetzt, zu diesem frühen Punkt, noch nicht soviel verraten kann. 
Türen wird ein einziges heilloses Durcheinander, eine freestylige groteske Minioper über Teebeutel, zu späteren Songs singen alle „an der Nordseeküste“, Börnski macht den perfekten Bühnenflachköpper, wir diskutieren gemeinschaftlich Freds Kalorienverbrauch und sonduieren seine Pulsfrequenz und der Laden bebt pulsierend voller Love.

Vielen Dank, liebes Musikzentrum, Hannover und Umland. Nach dem Konzert treffen wir viele Menschen am Merchstand, darunter auch langjährige WeggefährtInnen wie Sandrine, Dani, Fredi, Julia, Michaela, die Bortfelder Supergang, die uns ein gar wunderschönes Präsentpaket mitgebracht hat, Ingmar, der seine neue CD für uns dabei hat, Sterni und noch viele mehr, verzeiht, dass ich hier wieder Menschen vergesse, aber fühlt euch bitte alle umarmt. 
Wir sind allerdings auch alle etwas erledigt, weshalb wir nicht dolle feiern, sondern recht zügig den Hotelweg antreten, wo noch genügend neue Abenteuer auf uns warten. Die Doppelzimmer haben nur ein Bett, im Gegensatz zu den Einzelzimmern, diverse Zimmer bleiben auch nach mehrmaligen Versuchen Schlüsselkartenresistent, aber dafür hängt das ganze Foyer voll mit beruhigenden Kalendersprüchen, weshalb wir tief durchatmend frohgemut bleiben. Zum Schluss sitzen noch Lasse und ich im Foyer, wo wir uns angeregt über Umzüge, Fettes Brot und Deichkind unterhalten, bis uns die Augen zufallen, und wir uns Richtung Schlummer verabschieden. In meinem Zimmer brennt ein lila Licht, das mich dann doch noch länger grübelnd wachhält. Sollte ich das Lied über Bord werfen? Geb ich ihm noch eine Chance? Soll das lila Licht etwa beruhigend auf mich einwirken? Zumindest auf die letzte Frage weiß ich inzwischen die Antwort: Nein, darum befindet sich sein Lichtschalter gleich neben dem Bett. Aber das finde ich erst nach dem Frühstück heraus.