2. November 2024
von: Totte

Der Wecker klingelt um acht Uhr, denn meine vermaledeiten Haare brauchen inzwischen zwei Stunden, um nach der Dusche halbwegs zu trocknen, und dusche ich nicht, sehe ich gleich aus wie ein walkender Dead, der auch schon zu  Lebzeiten eher verlebt lebte. 

Fred, mit dem ich das Zimmer teile, ist ebenfalls schon wach, entweder wegen seiner Hunderundenuhr oder dem Nikotinschmachter, das kann er nicht so genau eruieren. 

Egal, ab zum Frühstück, wo Burger und Rüdi bereits sitzen, weil sie so geschlaucht von der Ansteherei vor dem einzigen Kaffeeautomaten für die 500 Hotelgäste sind, ich verzichte darum gleich auf Koffein und halte mich an kaltes klares Wasser. Fred zieht seinen Weg an der Kaffeefront aber heldenhaft durch und kehrt müde, aber siegreich zu uns zurück.  

Nach einem kleinen Frühstück Abfahrt nach Berlin, bzw. Weißensee bei Berlin, wie diverse Berliner Freunde uns unabhängig voneinander mitgeteilt haben. Der Stadtteil scheint nicht der zentralste Punkt der bebenden Metropole zu sein, aber wunderschön ist der, erkennen wir, als wir nach einer enorm ereignisarmen Fahrt am frühen Nachmittag ankommen. Zudem leuchtet der Herbst in sonniger Pracht gerade ganz besonders schön, so dass ich, gleich nachdem wir von Veranstalter Tim und Lichtmann Tim – es handelt sich nicht um dieselbe Person – herzlich empfangen worden sind, den Bus ausgeladen und einen herzhaften Snack eingefahren haben, in meine Joggingkluft steige und ein Stündchen durch die Botanik laufe. Der See ist zauberhaft und liegt gleich neben unserem Veranstaltungsort, dem Peter Edel-Haus, aber er ist innerhalb von neun Minuten umrumdet und zudem viel zu stark frequentiert, darum biege ich irgendwann ab und lande in einer traumhaften Gartenkolonnie. Der einzige Mensch, der mich anspricht, ist ein älterer Herr dort: „Du weeßt ja, hier isn Tempolimit, wa?“ Ach, Berlin.

Ich lande an weiteren Seen, die viel weniger besucht sind, und das wirkt noch zusätzlich sehr stimmungsaufhellend. Wieder zurück, nach Dusche und Kaffee, wird’s auch langsam Zeit für den Soundcheck. Ach so, klar, heute ist ja auch Claudio vor Ort und macht den Sound. Wie schön, vor allem, weil unsere Belegschaft sich dadurch vergrößert, denn das traurige an den Merch- und Soundmenschwechseln ist ja immer, dass normalerweise für jeden, der dazustößt, ein anderer geht. Heute aber nicht, denn Urs ist ja trotzdem noch als Tourmanager dabei, und da sich alle untereinander auch mögen, wird unser Tross jetzt einfach um eine Person fideler. Uff, langer Satz für den kleinen Unterschied. Sorry. Ich sitz gerade im Bus, während ich das tippe, und ich merke immer wieder, wie die Bewegung durch den Raum die Zielgenauigkeit der Worte in meinem Kopf ungünstig beeinflusst. 

Ich hab gar keine Ahnung, wie die Monsters im einzelnen den Tag rumbringen, den ein oder anderen seh ich erst flanieren, dann schlummern, auch bekommen wir Besuch von einigen sehr tollen Menschen, darunter auch Monsterfamilien-Pate Soelve, frisch vom Fußball bzw. Las Vegas, (B)Jörn, Onkel Drumhausen und King Krysler, die alle zu treffen uns immer gleichermaßen Ehre wie Herzensfreude ist, und schnatternd, rauchend, Kaffee/Tee/Sektchen trinkend stehen, sitzen lümmeln wir uns durch den Tag bis zum Konzert. Inzwischen sind die Temperaturen ziemlich rasant um mehrere Grade gefallen, plötzlich ist’s Winter, die Pizza vereist quasi bereits beim Transport und wir frösteln uns neben der Bühne einen, bevor das Intro läuft und wir die Bühne entern. 

Der Saal ist ganz zauberhaft, hoch, beeindruckend, wunderschön ausgeleuchtet. Das Publikum nicht minder zauberhaft und voll bei der Sache. Im Gegensatz zu gestern wirkt aber natürlich alles etwas weniger unmittelbar, denn je höher der Saal, so halliger entfernt sich der interaktive Moment für den Bühneneindruck. Das ist völlig normal, trotzdem haben wir zu Anfang ein kleines bißchen damit zu kämpfen, bis wir uns akklimatisiert haben. Bitte nicht falsch verstehen: das ist nur ein kleiner Befindlichkeitsschnack, ein Detail, das vielleicht auch für euch, liebe LeserInnen ganz interessant ist, denn jeder Raum wirkt sich auch auf die Perspektive und damit das Verhalten der Bühnenakteure aus. Wir haben in Berlin ja schon sehr viele verschiedene Clubs bespielt, und das ist für uns auch immer wieder aufs Neue sehr spannend. Fakt bleibt: Der Mitmachpegel ist auch heute eine Wucht, es gibt kleine Setausbesserungen, besonders ein neuer Rüdisong erlebt heute aufgrund spontaner Publikumschöre ungeahnte Mantraqualitäten, aber auch bei vielen anderen neuen Songs beben die Mauern gehörig. Andere werden sehr konzentriert mitverfolgt, und so ergeht es zum Beispiel auch meinem Sorgenkind von gestern, das ich eigentlich nach heute von der Liste streichen wollte, aber wie Claudio nach der Show so richtig sagt: „Die Leute wollen sich halt da die Geschichte anhören, dann johlt man eben nicht.“ Absolut richtig, manchmal muss man eben auch seine Profilneurosen etwas weltkonform anpassen. 

Natürlich feiert Berlin (und angereistes Umland) auch unsere Evergreens gehörig mit, ausgelassen, aber durchgängig aufmerksam. Wir liefern vielleicht (wahrscheinlich) nicht die beste Show unserer Berlinaufenthalte ab, aber mit viel Herz rocken wir freudig gegen unsere Nervosität an und finden immer wieder Momente für Nonsense, besingen Zwergwale, beschwören Oasismomente, Fred glänzt mit einem Klaviersolodebüt, ansonsten natürlich auch, Burger kappt meinen allerletzten 4 Meter-Akkord, als er beim Aufstehen zur Verabschiedung mein Kabel aus der Gitarre tritt, und wir werden erneut mit Standing Ovations belohnt, die nicht geheuchelt wirken. Grandios Berlin, vielen Dank. Und Sorry, dass wir den Songwunsch nicht mehr wahrnehmen konnten, das war einfach zu spät. Beim nächsten Mal wieder, ein bißchen versprochen. 

Nach dem Konzert treffen wir ausnehmend gute Personen, natürlich auch langjährige BegleiterInnen unserer Band, und – es ist immer wieder ein Wahnsinn – auch Sandrine ist erneut dabei, kennt wahrscheinlich unsere neuen Songs längst besser als wir selbst, und wir verneigen uns dankbar vor deinem Enthusiasmus. 

Wir müssen gestehen, viel Party gibt’s auch heute nicht nach der Show, Claudio und Lasse verlassen leider unsere Tour vorerst, Burger hat ein bißchen Husten und ist schon bettwärts vorgefahren, wir anderen fahren nun ebenfalls ins Hotel und sitzen noch bei einem gemeinsamen Schlafhupferlbier in der Hotellobby, in entspannter, leicht gähniger Einvernehmlichkeit, bevor sich alle nach Schlummerheim trollen. Ich weiß, es braucht mehr Adventure in den Berichten, aber gerade sind unsere neuen Songs eben das größte Abenteuer, das wir haben könnten. Aber wie schön, dass wir diesbezüglich jetzt schon optimistisch auf ein Happy End hoffen können. Tourtag zwei, Berlin, du Juwel, wir prosten dir zu. Auf ganz bald wieder.