„Sag mal, wo seid ihr denn?“ Rüdi am anderen Ende der Leitung klingt etwas aufgebracht. Ich liege bräsig auf der Couch, Kater Bernie schnurrend auf meinem Bauch, und bin etwas überfordert. Dann fällt der Groschen.
„Das ist am 16ten.“
Besagtes „das“ ist eine Kundgebung von ContRa e. V. Gegen Rassismus in Vechta. Wir Monsters wurden recht kurzfristig angefragt, aber entgegen unserer natürlichen Unflexibilität, die uns Monsters oft entscheidungsmäßig lähmt, konnten sich vier Monsters rasch freischaufeln, um endlich auch mal zumindest ein klitzekleines Scherflein zur guten Sache beizutragen. Die Kundgebung findet am Sonntag, den 16.02. statt, jetzt zum Zeitpunkt unseres Telefonats ist es Freitag der 14te.
Rüdi gewinnt somit schon jetzt den Jahresbandpreis für überpünktliches Erscheinen am Venue, aber so recht freuen kann er sich darüber nicht, denn erstens machen Baustellen derzeit seinen Bahnweg zwischen Vechta und Heimatort zu einer Tour der Torture, die Odysseus selbst in die Knie gezwungen hätte, und zweitens habe ich den Preis nur gerade erfunden. So bleibt akut nichts, als Organisator Sebastian kurzfristig zu bitten, wenigstens Rüdis Gitarre bereits vor Ort in Empfang zu nehmen, und ansonsten eine gute Heimreise zu wünschen, bevor sich Bernie und ich zum Zweitschlummer auf die andere Seite drehen.
Sprung zum Sonntag:
Ich bin bereits seit halb fünf auf den Beinen, jeder Zug kommt pünktlich, der Sonnenaufgang ist wunderschön und die Abteile sind leer. Jedenfalls bis zum vorletzten, da quetscht sich ein Quengelkind neben seinen Bruder, der auf dem Platz neben mir irgendein Game spielt. Funfact für bahnunkundige FDP-Wichser: Es gibt in Zügen nur Zweiersitzkombinationen. Der Vater sitzt weiter vorne und freut sich wohl, dass er Ruhe hat, denn das Quengelkind ist seinem Benehmen zufolge wahrscheinlich ein zukünftiger FDP-Wichser, neidet seinem Bruder das Game und lässt zudem die Nase laufen. Aber ich bin gut drauf, denn bislang war die Fahrt dufte, und eine verlogene dankbare Nachsicht nimmt von mir Besitz.
Trotzdem freue ich mich, in Bremen auszusteigen und meine Kollegen Fred und Jan zu treffen, mit denen ich die letzte Fahrt des Tages verbringe. Beide sind sehr gut drauf, reden allerdings zeitgleich, inhaltlich aber sehr verschieden, und ich kann ihnen weder folgen, noch antworttechnisch gerecht werden. Toffifee, Politik, Holzhacken und Fröstelattacken sind, sofern ich richtig verstanden habe, die wichtigsten Themen, und als Sitcomduo wären sie bestimmt durch die Decke gegangen.
Jan bittet überdies noch darum, seinen Song „Haste mal“ ins heutige Repertoire aufzunehmen, ein Lied, das ich vor zwei Jahren ein- und gleichzeitig zum letzten Mal gespielt habe, aber wir üben es direkt nach Ankunft am Vechtaer Bahnhof und hoffen das Beste.
Der Europaplatz, Ort des Geschehens, ist nur ein paar Minuten per pedes entfernt, und wir treffen an der Bühne bereits auf Rüdi, den ein heldenhafter Vechtaer Herr gar direkt von zuhause abgeholt und hierhergefahren hat. Heldenhaft. Wir treffen auf Sebastian, Nico und die restliche Crew von ContRa e.V., werden freundlichst instruiert und spazieren dann etwas durch die Stadt. Es stehen sich zwei Bühnen quasi gegenüber, auf denen abwechselnd Musik gespielt wird, und der Weg dazwischen ist mit Ständen von den Grünen, Linken, Laut gegen Nazis, Kein Bock auf Nazis, den Omas gegen Rechts und noch vielen Infoständen mehr flankiert, es gibt Kaffee, Kuchen und Softdrinks, und wieder einmal mehr wird deutlich, dass Freude und Schönheit nur auf Seiten der Vielfalt blühen können.
Wie armgeistig, glücklos und grauwütig bewölkt doch die Lebenswahrnehmung von Nazis sein muss. „Ihre Hölle sind sie selbst.“, um mal Sartre umzudichten. Allerdings werden sie dadurch auch zur Hölle der anderen, und damit sind wir wieder beim Original. Ein Wahnsinn.
Fred will Pizza, Rüdi auch, Jan und ich stattdessen ein wenig spazieren, wir treffen uns aber kurz darauf wieder, gehen zu unserer Bühne, wo sich just „Bruchbude“ für ihren Auftritt einrichten, der Platz füllt sich und die Sonne scheint. Der Auftritt von Bruchbude wird grandios, ich sehe ihn fast komplett, die Kollegen sind ebenfalls begeistert, aber Kälte durchdringt sie, so dass sie in ein Café bzw. eine Bar flüchten. Ich greife mir nochmal die Klampfe, um „Haste mal“ nochmal zu üben, hole mir dann ein Baguette und plötzlich ist es bereits halb fünf und wir müssen zum Soundcheck. Der geht schnell und problemlos, der Platz vor uns ist allerdings inzwischen leer, denn es ist inzwischen auch wirklich kalt geworden, trotzdem spaßen wir ein wenig mit den paar lieben Leuten vor der Bühne, dann husche ich nochmal auf Toilette, Jan holt Kaffee für uns, und als ich wieder an der Bühne erscheine, werden wir angekündigt, aber ich bin alleine. Fred und Rüdi finde ich dann im Vorraum der benachbarten Sparkasse, wohin sie vor der Kälte geflüchtet sind, Jan war ebenfalls noch schnell auf Toilette, immerhin sind wir nun wieder komplett und irgendwie stolpern wir dann, ohne uns eingemonstert zu haben, auf die Bühne.
Es haben sich erfreulicherweise doch noch einige Menschen eingefunden, die dem Frost trotzen, und die feiern mit uns zusammen eine heillos, schöne Chaosshow.
Wir haben als Monsters seit November nicht mehr zusammen gespielt, teilweise haben wir uns auch so lange nicht mal mehr gesehen, wir kommen also sprichwörtlich „aus der Kalten“.
Passt ja. Ich verkacke das Ende von meinem „Prädikat Punk“ und Jans „Haste mal“ komplett, aber erstens kündigen wir da vorher bereits stolz an: „das Lied jetzt können wir am schlechtesten!“, außerdem haben zu dem Zeitpunkt wir alle, auf und vor der Bühne, bereits Seitenstechen vor Lachen, denn wir sind in unserer planlosen Bescheuertheit heute irgendwie doch ganz bezaubernd. Die Sonne der Herzlichkeit strahlt aus allen Poren. Es gibt unter anderem „Haie, „Punkermädchen“, „Cola-Korn“ und „Türen“ als Zugabe, und wie Fred sehr treffend sagte: „Ich weiß nicht, ob das schlau ist, es jetzt zu sagen, aber wir sind die Monsters of Liedermaching“. Dumm aber schlau, um Das Bo zu zitieren. Es war eine wunderschöne gute halbe Stunde Nonsense gegen Nazis, und zugegeben: vielleicht haben wir die werten ZuschauerInnen zudem noch gar auf unsere anstehende Show in Bremen neugierig gemacht, wo wir dann qualitativ glänzen wollen.
Wir kommen sehr beseelt von der Bühne, denn auch uns hat das gut getan, und wir bedanken uns bei allen, die sich so energiegeladen, freudvoll, immer weiter gegen das gierige, geizige, verlogene und hasserfüllte Ungetüm des Faschismus engagieren. Es kommen womöglich harte Zeiten auf uns zu, aber wenn ihr so bleibt, wie ihr seid, dann gibt es Chancen. Absolute Love von Monsterseite, und da wir jetzt in den Kommentaren auch schon Typen hatten, die darüber heulen, dass wir uns gegen Rassismus positionieren, sei an dieser Stelle nochmal gesagt, dass Antifaschismus eine Selbstverständlichkeit und keine zu diskutierende Meinung ist. Wenn ihr gegen Antifaschismus seid, seid ihr für Faschismus. Solange ihr das seid, haltet euch von uns fern, für euch singen wir nicht. Ihr dürft euch natürlich jederzeit überdenken und hernach korrigieren, dann werdet ihr euch natürlich für eure faschistischen Äußerungen schämen, aber dann könnt ihr gerne wiederkommen.
Nach dem Auftritt wird die Bühne abgebaut, aber das ist nicht unsere Schuld, sondern wir waren einfach der letzte Programmpunkt, Rüdi wird vom Heldenherren sogar wieder heimgefahren, und ich verabschiede Jan und Fred, die in ihren Zug gen Heimat steigen. Da ich es zeitlich nicht schaffen würde, schlafe ich heute hier im Hotel, wo ich gut gelaunt meine Sachen verstaue, um dann in der Stadt noch einen Absacker zu trinken. Auf der Suche klingelt mein Telefon und ich bekomme schlechte Nachrichten, die alle kurzzeitig verscheuchten Gemütswolken wieder zurück in meinen Kopf fegen, wo sie sich sammeln und düster ausbreiten.
Es wäre wohl klug, jetzt einfach schlafen zu gehen, aber das kann ich gerade nicht. Also steuere ich nach langer Suche ein Lokal namens „Lucifer“ an, was ja namentlich gut passt, denn der Teufel hat schließlich den Schnaps gemacht, aber das System dort ist zu modern für einen alten Kneipengänger wie mich. Zum Glück erklärt mir eine extrem freundliche Dame geduldig das System (QR-Code, Chipdiesdas), lädt mich sogar ein, mich dazuzusetzen, aber ich brauche gerade einen Moment für mich, danke und trinke nur ein Bier und einen Jägermeister, während ich einige Sachen am Handy zu klären versuche, bevor ich mich auf den Rückweg mache.
Auf dem Rückweg aber klingelt mein Messenger, und Orgachef Sebastian lädt mich ein, zu ihm und ein paar Freunden in die „Banane“ zu kommen, um gemeinsam noch was zu trinken, und das nehme ich gerne an. Die „Banane“ ist eine tolle Kneipe, hat einen tollen Wirt und die Clique um Sebastian ist ebenfalls toll, und so vergesse ich kurzzeitig meine Sorgen, rede zu viel Quatsch und freu mich über das Falafelsandwich, das mir noch aus dem benachbarten Döner mitgebracht wird. Ein Paar der Clique ist mit Auto da und fährt mich abschließend zum Hotel, ich falle über das Sandwich her, dann fallen mir wieder die Telefonate ein und ich will nachschauen, ob es Neuigkeiten gibt. Mein Handy ist weg, nicht zu finden. In der Jacke nicht, in der Hose nicht, im Bad nicht, in den Taschen nicht. Dafür finde ich rasch zur Panik, und ich eile zu Fuß zurück zur „Banane“, jammernd und gegen das Schicksal zeternd, ein mit Sicherheit beeindruckender Sermon, der als Oper ganz groß einschlagen dürfte. In der „Banane“ räumt der Wirt gerade auf, sucht aber sofort mit mir nach dem Handy und telefoniert auch dem Paar hinterher, falls ich das Handy im Auto verloren habe. Niente.
Ich glaube, ich mache keine besonders souveräne Figur, als ich mich verabschiede und wieder zum Hotel zurückschleiche, völlig überfordert von mir und der Situation, und diesmal wäre meine Tirade sicher eher was für Radioheadfans.
Im Hotel kicke ich meine Schuhe kraftlos von den Füßen und sammel die Alufolie des Falafels auf, die in Fetzen unter dem Bett liegt, um überhaupt irgendwas zu machen. Hinter ihr ein rechteckiger Schatten. Ich trau mich erst gar nicht, danach zu greifen, um die letzte, neugeborene Hoffnung nicht zu verlieren, dann geb ich mir einen Ruck und halte mein Telefon in den Händen. Und hier ende ich mit der Story, denn mehr Happy End geht derzeit nicht, und wir alle brauchen gerade eins, und zwar dringender denn je.