von: Totte

Heute können wir nach dem Erwachen mit Sicherheit das schönste Panorama der Tour genießen. Wir stehen wieder auf dem Hotelparkplatz inmitten der Aschaffenburger Berglandschaft und die Welt ist eine Modelleisenbahn. Es ist noch etwas bedeckt, aber das passt eigentlich ganz gut. Die meisten Monsters sind bereits früh auf den Beinen, wollen im Hotel frühstücken, haben zu telefonieren oder flanieren einfach ein wenig. Ich hab gestern zuviele Chips gegessen und jetzt etwas Magenweh, darum für mich nur Toilette statt Toast.

Tobi und Bernd diskutieren traditionell ihre unterschiedliche Auffassung über die perfekte Bustemperatur, Mark geht Verwandte besuchen und ich tippe schnell den Bericht, um noch vor Wolkenaufriss auf den Laufpfad zu gelangen.

Börnski war anscheinend bereits zur Ankunft in Aschaffenburg wach und Bernd ein guter Beifahrer und schläft darum noch, also ziehe ich erstmal alleine los und laufe zur Abtei im Tale, der Nachteil ist, danach geht’s nur noch bergauf. Aber die Zicklein, die am Hotel grasen, belohnen den Kraftakt durch ihre angeborene Sweetness. Inzwischen ist auch die Sonne da, das in Mi

Verbindung mit dem Roman „Holly“ gibt eine interessante Mischung. Ich genieße das bis zur Abfahrt, denn um 16 Uhr werden wir mitsamt Geraffel abgeholt, die Zeit bis dahin verbringt jeder unterschiedlich, die einen gehen schwimmen, andere bleiben liegen, Börnski schafft tatsächlich alles. Respekt.

Punkt 16 Uhr stehen zwei Sprinter für uns bereit, einen fährt Sina, die sonst auch unter anderem für unsere lieben Kollegen von Boppin B den Sound regelt, auch für uns hat sie das mal im Colos-Saal gemacht, die Wiedersehensfreude ist darum groß.

Im Club angekommen erledigt sich das Laden quasi von selbst, heute meinen sie es sehr gut mit uns und haben präventiv acht Stühle auf der Bühne für uns aufgereiht, Fred kauft eine neue Melodica, ich eine Kazoo und Gitarrenseiten, dann ist bereits Soundcheck, der fast störungsfrei verläuft, wenn man davon absieht, dass Mark meine Gitarre weiter aufdrehen muss als gewöhnlich. Macht ja nichts.

Die Zeit bis zum Konzert vergeht rasant, Elias von König Drosselbart und Peter Hawk kommen uns besuchen, es gibt Abendessen (in Süddeutschland ist der Veganer noch Beilagenesser), und Punkt 20 Uhr entern wir die Bühne. Der Colos-Saal ist prächtig gefüllt mit prächtigen Menschen und es britzelt richtig vor Energie in der Luft. Irre gut. Zumindest bis zu meinem ersten Einsatz: Meine Gitarre spinnt wieder, da klopft was störend im Monitor und ich muss neu ansetzen. Mir bricht der kalte Schweiß aus. Nicht schon wieder. Was Gitarren angeht, habe ich das Karma der Hölle, wenn irgendwas auf Tour mit Gitarren passiert, dann zu 99% mit meiner. Ich muss im früheren Leben Biber gewesen sein oder sowas. Ich spiele also nochmal von vorn. Das Klopfen bleibt, die Gitarre wird leiser auf dem Monitor. Dann brüllend laut. „Immerhin bin ich gleich mit dem Song fertig“ denke ich hoffnungsvoll, dann ist die Gitarre in der dritten Strophe komplett weg, und ich muss auf Burgers Gitarre ausweichen, um das Lied zuende zu bringen. Das hat alles natürlich weder Lied noch Stimmung im Saal gut getan. Rüdis Gitarre spinnt im Anschluss auch kurz, aber fängt sich zum Glück wieder, nur ich muss für den Rest der ersten Hälfte auf Burgers Stahlsaitenklampfe zurückgreifen und versuchen, nach außen zu strahlen, während ich innerlich kurz davor stehe, wahlweise zu heulen oder cholerisch meine Gitarre zu pulverisieren. Auf jeden Fall will ich weg von der Bühne.

Meine Kollegen kompensieren das aber und wir spielen eine ansonsten schöne erste Hälfte vor einem sehr aufmerksamen, aber auch sehr mitfeierndem Publikum, dann ist Pause. Ich kann leider auch jetzt nicht weg, denn jetzt müssen Mark und ich herausfinden, was Sache ist. Nach zahlreichem Hin und Hergestöppsel und Kabeltausch geht alles zum Glück wieder, es liegt also nicht an der Gitarre, sondern eher an einer kaputten DI-Box oder einem Kabelwackler. Puuh, schnell freestyle ich ein Danklied, auch um das Publikum etwas zu erleichtern, das ja schließlich zu großen Teilen etwas verunsichert unseren Reparaturversuchen zugeschaut hat, dann gehe ich schnell hinter die Bühne, um tief durchzuatmen. Ich bin im Grunde durch für heute.

Aber nun kommt erstmal die zweite Hälfte, und die wird – von ein, zwei etwas unangenehmen „Prinzessin auf der Erbse“ – Momenten auf der Bühne abgesehen – sehr schön, und die gegenseitige Zuneigung zwischen Band und Audienz trägt sich in freudvollen Wellen immer höher und höher und schaukelt sich in eine Gigantowelle, auf der wir schließlich alle gemeinsam ans Trockene surfen, leuchtende Augen, lachende Münder, klatschende Hände, standing Ovations, ein Extralied und mit „Mass – Nah – Men!“ ein völlig neuer Zugaberuf, der sich vielleicht ja durchsetzen wird.

Wunderschön. Und Aschaffenburg ist wirklich immer eine Bank für uns. Vielen Dank. Auch wenn wir heute sicher nicht unser stringentestes Konzert hier gegeben haben, wir hatten wahnsinnig viel Spaß mit euch und die vielen schönen Gespräche im Anschluss bestätigen, dass wir zumindest sehr kurzweilig waren.

Ich bin allerdings zu anständigen Unterhaltungen nicht mehr zu gebrauchen, denn das Adrenalin und die Erleichterung wegen der Gitarre füllen komplett meinen Kopf, drum sitze ich nur noch phrasenfaselnd zwischen nachsichtigen Menschen, bis wir den Bus einladen und nach herzlichen Verabschiedungen zurück auf die Straße brettern, auf die bekanntlich ja auch Marius Müller W. dringend wieder will, wenn man ihm Glauben schenken kann.

Ich inhaliere noch eine halbe Tüte Chips, dann verabschiede ich mich ins Bett, und auch die anderen liegen bereits oder sind auf dem Weg dorthin, um in die Welt der Träume zu wandern. Unsere Parties waren schon mal wilder. Aber Wildheit, so sagt man zurecht, ist punktuell genutzt am nützlichsten. Und unseren Punkt setzen wir am liebsten auf der Bühne. Punkt.