Ich hatte Träume, aber welche genau, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall fühle ich mich bereits nach dem Aufwachen überfordert. Das kann aber auch am Münchener Backstage liegen, denn hier ist bereits jetzt soviel los, dass einem ganz wirr im Kopf davon wird. Mark und Tobi sind natürlich längst wach, frisch und wie aus dem Ei gepellt, zerknautscht setze ich mich dazu und klappe den Laptop auf, in den ich die Erlebnisse des gestrigen Tages tackere, während ich mich eigentlich frage, ob es „der Laptop“ oder „das Laptop“ heißt. Bevor sich mir eine Antwort darbietet, verliere ich leider das Interesse, und das ist eben das Problem mit uns jungen Leuten: Wir haben überhaupt kein Durchhaltevermögen. Ein anderes Problem ist das für die Jugend unangemessene Lebensalter. Anstrengender Tag.
Der Ruf der Natur führt mich in den Sanitärbereich, den ich mir gerade allerdings mit fünf Baumstämmen von Männern teilen muss, was für eine Toilette auch auf Tour eher viel ist. Danach wird’s aber besser, Labörnski motiviert mich zu einem groovy Lauf durch den Hirschgarten und wir hüpfen wie verschreckte Rehlein über Stock über Stock über Stein. „Äußerst elogant“, wie Pumuckl zu sagen pflegt. Auf den letzten Metern überschätze ich mich und lege mich bei einem Parcourssprint aufs Maul, wobei sowohl Parcours als auch aufs Maul doch stark übertrieben sind. Ich rutsche auf dem Kinderspielplatz aus und schürfe mir die Hand auf. Sieht immerhin gefährlich aus. Später knallt mir beim Kühlschranktransport die Rolle der Sackkarre auf den dicken Zeh und vervollständigt so mein Blessurensortiment.
Heute spielen nicht nur wir im Backstage, sondern auch eine Abordnung Heavy Metal Bands im Club, der Berliner Atzenrapper MC Bomber in der Halle und die Raptalentshow „Rap la Rue“ im Werk, wobei letztere das ganz große Ding der Zeit zu sein scheinen. Schon Stunden vor Beginn stehen endlose Schlangen junger Menschen vor dem Backstage, laufen den ankommenden Mercedessen nach und werden hysterisch bei jedem Anblick ihrer HeldInnen. Und es gibt noch was zu beobachten: Sowohl die AkteurInnen von „Rap la Rue“ als auch die Gesamtheit ihrer Fans, zu großen Teilen Menschen mit wahrscheinlich migrantischem Hintergrund, sind ausgesucht höflich und freundlich. Wir sind uns einig, selten einen so angenehmen Massenauflauf erlebt zu haben. Auch im Backstage herrscht völlig allürenfreier respektvoller Umgang mit allen. Es zeigt sich wieder, wie sehr Bild, CDU und AfD die Realität verzerren, um ihre menschenfeindlichen Interessen durchzusetzen.
Der einzige Nachteil, der für uns durch diese Komplettverbuchung besteht, ist, dass wir in der für uns völlig überdimensionierten Arena spielen müssen, die sicher locker 1000 Leute fassen würde. Hallo, hier kommen die Nischenrocker von den Monsters und werden versuchen, das Riesengebäude in ein Wohnzimmer zu verwandeln. Ich seh‘ das einfach nicht und bin darum für den Rest des Tages pessimistisch muffelig.
Beim Catering verpasse ich heute leider auch jede Auffüllphase, und die gibt es, wie ich von den begeisterten Kollegen höre, aber immer wenn ich da bin, stehen gerade nur noch ein paar übriggebliebene Brötchen da, darum begnüge ich mich mit kalten Bohnen und einer Laugensemmel und verschwinde wieder in Stephen Kings Welt, die mir gerade gar nicht so dramatisch erscheint.
Soundcheck, ein bisschen Proben mit Rüdi, dann ist irgendwann Einlass und der Ernst des Abends beginnt.
Ich spoiler mal: Das Konzert wird ziemlich gut, finde ich. Der Saal ist prima gefüllt und atmosphärisch äußerst druckvoll, die Menschen sind in Feierlaune. Und wir sind auch nicht schlecht, Börnskis Bertaansage ist pointiert ausufernd, unsere Songs knallen knackig nach vorne und das Publikum singt, sitztanzt und lacht euphorisch mit uns mit. Traditionell wochenendlich ist alles etwas lauter, exzessiver und wilder als wochentags, aber trotzdem bekommen die Leute hier es hin, auch die ruhigeren Momente adäquat konzentriert mitzugenießen. Es ist ein wirklicher Schwelgeabend und bezaubert verabschieden wir uns verneigend vor stehenden Ovationen und sind sehr dankbar für das, was mit uns geschieht.
Nach der Show stehen wir natürlich noch eine Weile mit sehr sympathischen MonstershörerInnen zusammen, besonderes Highlight ist dabei für mich ein junger Mann namens Benjamin, den ich völlig vergessen hatte. Beim letzten Münchenkonzert hatte ich ihm meine Sonnenbrille geliehen, weil er so von den Scheinwerfern geblendet wurde, er hatte das als Geschenk missinterpretiert und ich das wiederum im Tourbericht festgehalten. Jetzt steht er hier und will mir besagte Brille zurückgeben, was mich richtiggehend rührt. Wir kommen aber darin überein, dass er stattdessen jetzt mit dem Auftrag rumläuft, die Brille jemandem zu schenken, der gerade eine benötigt, somit wird die random Ein Euro-Brille zu einer echten Superheldenbrille und ihre Story geht vielleicht noch weiter. Aufregendes Zweiglaslife.
Außerdem sind heute mein Onkel Helmut samt Gattin Sabine da, sowie überraschend mein alter Unikumpel Jochen mit Gattin Verena, was große Freude aufkommen lässt. Ich schwänze darum das Busladen und sitze mit ihnen noch bei Bier und Cola zusammen, bis letztlich zur Abfahrt geläutet wird. Ein viel zu kurzes, aber sehr schönes Treffen.
Der Bus rollt an und wir sitzen in der Lounge, Fred macht noch eine Dreiviertelstunde den DJ, ich trinke zwei Bier zuviel, dann passiert was total verrücktes: Wir gehen schlafen.
Tja, Tourleben ist nichts für Vampire. Für Monsters hin und wieder aber schon. Träumt süß.
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