20. April 2024
von: Totte

Es war eine lange Nacht in Münster, aber lasst uns nicht von gestern reden. Willkommen in der Gegenwart, hallöchen, wertes Bremen. Wir stehen bereits vor dem Club, dem „Modernes“, oder sagt man jetzt dazu „vor dem Modernen“? Beugt man das Moderne oder beugt man das Modernes nicht? Und geht man auf ein Konzert der Ärzte oder Die Ärzte oder Der die Ärzte? Immerhin, „Im Schatten der Ärzte“ oder „Im Schatten die Ärzte“, das ist eigentlich egal. Komplizierte Welt. Vor allem nach … aber lasst uns nicht von gestern reden. Um den Kopf frei zu kriegen laufe ich eine Runde an der Weser entlang bis zum Stadion. Ich bin heute alleine unterwegs, da Labörnski gestern aufgrund koffeinhaltiger Enegiegetränke zuviel Energie für Schlaf getankt hatte, und darum erst gegen sechs Uhr in die Koje zurückgefunden hat. Alleine laufen geht zur Not, aber ein bißchen fehlt mir nun doch der Elan. Außerdem laufen hier viele JoggerInnen, und zwar viel eleganter, schneller, toller. Ich klumpe ja eher so dahin. Dass aber am Weserstadion ein riesiges Banner mit einem Aufruf für den Zusammenhalt gegen Rassismus hängt, finde ich grandios, denn ich denke, gerade in mainstreamigen Hypedingen wie Sport, sollten viel mehr der Heroen ihre Stimmen erheben, da sie vielleicht sehr viele Menschen erreichen und eine Autorität besitzen, die kleine Liedermacher nicht tun und haben. Tun und Haben, der neueste Gesellschaftsromanbestseller von Erich Fromm, dem zweiten.

Wieder zurück im Backstageraum führe ich einen kleinen Disput mit Lasse, weil er der nächste in der Wartereihe der Duschenden ist, ich das aber unfair finde, weil ich alles unfair finde, was sich nachteilig auf mich auswirkt. Er irrt sich natürlich, denn er ist da anderer Ansicht, doch bevor ich ihn argumentativ außer Gefecht setzen kann, ist er bereits in der Dusche verschwunden, und danach ist mir das eigentlich auch wieder ziemlich egal, und wir tanzen friedlich freudig Hand in Hand durch den Frühlingsduft unserer Frischgeduschtheit.

Urs ist heute superfleißig, denn der hiesige Tontechniker Reiner ist ein alter Tonguru, der viel erlebt hat und viele geheime Tontechnikerinformationen hat, die ich natürlich nicht weitergeben kann, weil es schließlich Infos für Tontchniker sind, nicht für Leute wie mich. Jedenfalls sind beide ziemlich lange und intensiv am Tonpult rege beschäftigt und Urs ist anschließend ehrlich ziemlich begeistert.

Das „Modernes“-Team um Joschi (alles), Nadine (alles) und Fabi (Licht) ist sehr sympathisch und hat uns ein formidables Büffet gezaubert, wir lassen es uns gut gehen, wobei ich das mehr erahnen kann, denn ich sehe meine Kollegen kaum, weil zwischen Busausladen, Soundcheck und Konzert immer entweder ich oder die anderen irgendwo verschwunden sind, schlafen, einkaufen, rumtollen, tapezieren, was man eben so auf Tour macht.

Da heute um 23 Uhr Disco im Club ist, müssen wir einem ziemlich rigorosen Zeitplan folgen, der beinhaltet, dass wir bereit um 18:30 uhr mit dem Konzert beginnen. Wir haben das versucht, so gut es geht, im Vorfeld zu kommunizieren, zum Beispiel, indem wir die Zeiten auf die Eintrittskarten gedruckt haben, dennoch kommt ein ordentlicher Batzen Leute erst gegen halb acht, dann aber bass erstaunt, in den Laden, weil sie schon mitten im Partykrawall landen. Insgesamt haben wir heute übrigens unseren Bremer Zuschauerrekord geknackt, was man ruhig erfreut und unbescheiden hier erwähnen darf, denn gleich komme ich wieder auf den Boden der Demut zurück.

Ich bin heute nämlich alles andere als gut. In der ersten Hälfte verkacke ich alle meine Songs, mein Gehirn will keinen Groove mit meinem Herz finden, uneinheitlich stolpern sie im Versuch, im Einklang zu fließen, übereinander und treten sich auf die Füße. Klasse Satz, der vorangegangene: Hirn und Herz stolpern sich über die Füße. Ich hätte Pathologe werden sollen, oder Aphorismenpostkartenschreiber. In der zweiten Hälfte des Konzerts spiele ich wenigstens wieder besser, aber den Draht finde ich nicht so recht. Obwohl, der „Moment“ macht mir vielleicht darum heute besonders viel Spaß, denn das ist einer der wenigen Konzertsituationen, bei denen ich sowieso eher in ich gehe, als nach vorne. Und was bei den Monsters insgesamt immer so toll ist, ist der Fakt, dass einer ruhig mal danebenhauen kann, denn fünf andere Recken schießen das Ding schon ins Tor. Klasse, jetzt auch noch Fußballvergleiche. Aber es stimmt ja: Die Kollegen sind ausgesprochen gut drauf, es gibt den schönsten, längsten „Stress mich nicht“-Introchor, Burger und Pensen ergänzen sich gitarrenmäßig bei „Ich muss weg“ erstmalig so perfekt wie Rocknroll-Mariachis, Fred tauscht den Platz mit Rüdi und Jan zieht sich aus und macht einen Bühnenflachköpper, der seinesgleichen sucht. Wir alle kichern über diffuse Situationen, die einfach nicht zu beschreiben sind. Das Publikum kichert mit, ist aber auch sonst voll bei der Sache. Bei Sitzpogo und Mitgesängen, die Leute lassen uns nicht hängen. Herrje, jetzt auch noch Billigreime. Ich bitte um Pardon. Aber zurück zum Konzert: Es kracht gewaltig, auch heute ist es natürlich weekendmäßig etwas unruhiger als an Wochentagen, auch weil viele Leute stehen, aber wohin wir auch schauen, erkennen wir nur glückliche Gesichter. Auch die Standing Ovations im Anschluss stützen den Eindruck. Bei den Zugaben stehen und tanzen dann quasi alle, und ziemlich selig verlassen wir die Bühne. Hinterher ist allerdings kaum Zeit für Party und Merchtischtalks, denn die Disco drängelt sich bereits in unser Zeitfeld, und wir müssen rasant die Bühne freiräumen und alles in den Bus packen, schon werden rote Absperrtensatoren – ich gebe zu, Urs hat mir gerade verraten, wie die zumindest bei Flughäfen genannt werden, ich hätte aus unwissender Not „rote Koordinations-Kordeln“ geschrieben – von einer Legion Securitymenschen aufgebaut, und darum können wir kaum mit Freunden und HörerInnen quatschen, sondern müssen flugs unseren Bus laden, bevor wir dann doch nochmal in Ruhe mit Joschi und Nadine einen Feierabenddrink genießen. Unser Bus fährt heute bereits um Mitternacht, und was zur Geisterstunde passiert, gehört in die Geisterwelt. Bremen, ihr habt sehr gerockt. Vielen lieben Dank. Beim nächsten Mal rock’ ich wieder mit, versprochen.