Open Flair, Eschwege
09. Aug. 2015

Tourtagebuch

Open Flair, Eschwege

09. Aug. 2015

von Rüdi

Da ist er wieder zusammen, der Hühnerhaufen. Nach fast 16 Monaten Pause treffen wir auf unserem Lieblingsfestival, dem Open Flair, endlich wieder zusammen und die Art, wie das geschieht, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, daß wir uns nicht verändert haben, auch nicht in den Dingen, wo es vielleicht entspannter und unkomplizierter wäre, wenn wir ein klein wenig anders wären. Aber nein. Natürlich nicht. Und so findet unser Wiedersehen just in dem Moment statt, wo wir für einen Dokumentationsfilm mit minderjährigen Flüchtlingen zusammensitzen und uns von den tapferen Jungs erzählen lassen, wie lange sie schon von ihrer Familie getrennt sind, wie gefährlich die Reise nach Deutschland war und was sie hier für Vorurteilen begegnen. Hallo Fred, hallo Burger, hallo Totte – schön, euch zu sehen. Irgendwelche Reisestrapazen? Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Alles gut zuhause?

Ein schwieriger Moment. Beziehungsweise zwei eigentlich sehr schöne Momente und Zusammenkünfte, die aber gerade so gar nicht zusammenpassen wollen. Für beides hätte es einfach mehr Zeit gebraucht. Gefühlschaos. Konzentrieren wir uns auf also auf den einen der schönen Momente:

Die Monsters treffen nach ihrer Bandpause wieder zusammen und das ausgerechnet auf dem Flair. Natürlich ist das kein Zufall, wo sonst könnten wir dieses Ereignis besser feiern als hier.
Und wie bei anderen Familientreffen auch, kommen wir aus allen erdenklichen Ecken angekleckert. Fred aus Hamburg, Burger aus Bad Gandersheim, Pensen, Timmey und Urs von der holländischen Grenze, ich aus der Schweiz, Totte ist schon seit gestern hier und Börnski ist mal eben aus Thailand angeflogen. Dazu Freunde, Verwandte und nicht zu vergessen die ganze herzenswarme Flairfamilie. Wir haben uns natürlich in der Zwischenzeit alle nicht aus den Augen verloren, aber hier wieder so zusammen zu stehen, ist irgendwie neu. Nervosität macht sich breit - einerseits. Der Platz ist noch fast leer und die Bilder, die wir noch von 2012 in Erinnerungen haben, müssen weggefegt werden. Wir dürfen so einen Wahnsinn nicht wieder erwarten. Unmenschliche Hitze und Schwüle treiben uns selbst immer wieder unter die Dächer und als ich eben über das Gelände gehechelt bin, um mir einen Hut zu kaufen, bin ich auf halbem Weg wieder umgedreht, weil es mir zu blöd wurde in der Hitze.
Andererseits: Wir sind hier auf dem Flair immer wieder überwältigt worden von den Zuschauern. Von deren Menge, dem Stehvermögen und vor allem von deren Treue, die uns auch schon in der Vergangenheit mal ein vielleicht nicht ganz so gelungenes Konzert verziehen hat. Also: Gibt es irgendwas, was wir kurz proben sollten? Ach, was. Lasst uns genießen!

Dann allerdings wieder ernsthafte Zweifel beim Soundcheck, der diesmal so bieder abläuft wie sonst nie. Zwar haben sich schon ein paar Verrückte vor der Bühne eingefunden, aber die gewohnte kleine Vorparty will heute nicht recht zünden. Und in den Denkblasen über unseren Köpfen kann man Sachen lesen wie: „Scheisse! Wir sind verklemmt.“ „Das wird nichts heute.“ „Früher war alles besser.“

Und wie wir so hinter der Bühne stehen und eine Zigarette nach der anderen paffen, erklingen plötzlich gewohnte Gesänge vom Gelände, die wir sehr wohl hören und die unser Herz sofort höher schlagen lässt. Selbst mit verbundenen Augen könnten wir jetzt sofort sagen, wo wir uns befinden. Diese Chöre haben wir nur auf dem Flair.

Und als wir um die Ecke biegen und zu den „Muppets“ die Bühne betreten, steht da alles voller Menschen. Es ist nicht zu fassen. Und die singen und jubeln und hören nicht auf bis uns wieder das Wasser in die Augen zu drücken droht, aber heute wird mal nicht geheult. Nein Burger, du auch nicht!

Aber wie man sich so fühlen kann. Eine Mischung aus Angst, Freude, Ungläubigkeit, Bestätigung und allem möglichen, was eigentlich nicht zusammen passt. Kurz gesagt: Was für ein geiles Gefühl!
Jetzt müssen wir nur auch noch ein anständiges Konzert hinbekommen.
Natürlich haben wir kein neues Programm, wie denn auch. Also spielen wir eine Stunde lang ein paar Flair-Klassiker, manche tatsächlich viel besser, als man vermutet hätte. Zwei neue Lieder sind auch dabei. Totte traut sich und ich traue mich auch, aber im Grunde ist das hier alles grad egal. Wir spielen wieder zusammen und alles was wir je wollten, ist im Überfluss da. Unvergessliche Szenen, als zum Beispiel Totte bei „Auflaufform“ crowdsurfend selbst gemachte Pizza ans Publikum verteilt. Oder der lautlose Applaus bei seinem unverstärkten Glockenspielsolo. Natürlich wird auch wieder einer von der Security geknebelt und gefesselt ins Publikum geworfen, diesmal allerdings in ungewohntem und eher gewagtem Outfit. Es scheint, als würde sich der ganze Platz selbst eine Freude machen. Und wir mittendrin.
Ach, was soll ich sagen. Wie soll man dem gerecht werden, was an so einem Tag in einem vorgeht. Vielleicht so viel: Wir sehen alles, wir hören alles, wir genießen alles, was Ihr tut, liebe Flairisten. Und weil dies ein besonderer Tag war, hat das auch ganz besonders gut getan.

Danach spielt „das Pack“ auf der Becksbühne auf dem Zeltplatz und weil wir alle keine Campingausweise haben, bringen uns zwei Transporter auf ihrer Ladefläche mal eben rüber, damit wir unsere Kollegen auch mitkriegen. Muss ich noch sagen, dass auf der Ladefläche natürlich Sessel, Sofa, Kühlschrank, Sonnenschirm und Bier untergebracht sind?

Das sind alles nur bruchstückhafte Episoden, man könnte jede Stunde mit ähnlichen Beispielen drapieren, von Björn erzählen, dem Shuttlefahrer, von Markus Stolle, von Gymmick und Onkel Hanke und all den lustigen Dingen, die halt ständig bei so einem Fest passieren.
Aber ich bin kein Romancier. Nur Romantiker. Hier geworden. Länger her.

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